Patientenverfügung und lebenserhaltende Maßnahmen: neues BGH-Urteil

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Grundsätzlich kann jeder Erwachsene in schriftlicher Form (Patientenverfügung) rechtlich bindend bestimmte ärztliche Eingriffe untersagen. Patientenverfügungen spielen eine Rolle, wenn der Betroffene im Zeitpunkt des Eingriffs keine Entscheidung mehr treffen kann und setzen für ihre Wirksamkeit voraus, dass der Betroffene im Zeitpunkt ihrer Errichtung Einwilligungsfähigkeit, d.h. Einsicht in Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der in Bezug genommenen medizinischen Situation und der festgelegten Maßnahme hat.

Die Zulässigkeit von Patientenverfügungen folgt aus dem verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrecht. Bislang wurden dort getroffene Festlegungen zum Behandlungsabbruch in der Rechtsprechung großzügig akzeptiert. Gefordert wurde nur die Kongruenz zwischen der späteren ärztlichen Maßnahme und ihrer Beschreibung in der Patientenverfügung. Weitergehende Reflexionen des Verfügenden, z.B. eine vorausschauende Berücksichtigung seiner eigenen medizinischen Biografie oder zukünftiger Fortschritte in der Medikamentierung/ Gerätemedizin wurden nicht verlangt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einem kürzlich ergangenen Beschluss mit der Verbindlichkeit einer Festlegung (Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen) in einer Patientenverfügung für eine bestimmte medizinische Situation befasst.

Der Sachverhalt: Betroffene wird nach Hirnschlag über PEG-Sonde versorgt

Es ging um folgenden Sachverhalt: Die Vollmachtgeberin (und Betroffene) errichtete eine Patientenverfügung, in der es u.a. hieß: „Ich wünsche, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, dass aufgrund von Krankheit ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt.“ In derselben Urkunde war eine Vollmacht des Inhalts enthalten, dass die bevollmächtigte Person bei der Absprache mit den Ärzten, welche die Vollmachtgeberin behandeln würden, den in der Patientenverfügung zum Ausdruck kommenden Willen einbringen sollte. Die Vollmachtgeberin erteilte diese Vollmacht einer ihrer Töchter.

Einige Jahre nach Errichtung der Patientenverfügung erlitt sie einen Gehirnschlag. Ihr wurde eine PEG-Sonde gelegt, über die sie seitdem ernährt und medikamentös versorgt wurde. Zum Zeitpunkt dieser Maßnahme war ihre Fähigkeit zur verbalen Kommunikation noch vorhanden und dauerte noch einige Zeit an, ohne dass die Betroffene sich während dieses Zeitraums gegen die Versorgung durch die PEG-Sonde aussprach. Infolge epileptischer Anfälle verlor die Betroffene die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation. Die bevollmächtigte Tochter ließ in Absprache mit der behandelnden Ärztin die Versorgung durch die PEG-Sonde weiterlaufen.

Dagegen wandten sich beiden anderen Töchter der Betroffenen, welche geltend machten, dies verstoße gegen den Willen der Betroffenen. Sie erreichten im betreuungsgerichtlichen Verfahren die Anordnung einer Kontrollbetreuung mit dem Aufgabenkreis „Widerruf der Vollmacht der Betroffenen“. Dagegen richtete sich die beim BGH eingelegte Rechtsbeschwerde der bevollmächtigten Tochter. Es liegt ein Sachverständigengutachten vor, in dessen Rahmen der Sachverständige einen Dauerschadens des Gehirns bei der Betroffenen feststellte und ausführte, bei Abbruch der künstlichen Ernährung sei nicht mit einem qualvollen Verhungern der Betroffenen zu rechnen.

Der BGH gab mit Beschluss vom 06.07.2016 (Az.: XII ZB 61/16) der Rechtsbeschwerde statt. Der BGH sah in der Fortführung der Versorgung der Betroffenen keinen Verstoß gegen den in ihrer Patientenverfügung oder anderweitig zum Ausdruck kommenden Willen.

BGH: Festlegung „schwerer Dauerschaden des Gehirns“ in Verfügung ist nicht ausreichend

Die in der Patientenverfügung verwendete Formulierung „schwerer Dauerschaden des Gehirns“ sei so wenig präzise, dass daraus kein Rückschluss auf einen gegen konkrete Behandlungsmaßnahmen (hier: künstliche Ernährung mittels PEG-Sonde) gerichteten Willen gerechtfertigt sei.

Der BGH sah darin, dass sich die Betroffene während der Zeit ihrer fortdauernden verbalen Kommunikationsfähigkeit nicht gegen die bereits gelegte PEG-Sonde aussprach, ein Indiz dafür, dass diese Behandlung ihrem Willen entsprach.

Auch den Feststellungen des Sachverständigen zum eingetretenen Dauerschaden des Gehirns und zur Schmerzlosigkeit bei Abbruch der künstlichen Ernährung maß das höchste Zivilgericht kein entscheidendes Gewicht im Sinne eines mutmaßlichen Willens der Betroffenen zur Beendigung dieser medizinischen Maßnahme bei.

Schutz des Lebens ist für Auslegung der Patientenverfügung vorrangig

Wohl zentral für die Argumentation des BGH ist der hier wörtlich zitierte Satz: „Kann ein auf die Beendigung einer ärztlichen Maßnahme gerichteter Wille des Betroffenen auch nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen nicht sicher festgestellt werden, gebietet es das hohe Rechtsgut auf Leben, entsprechend dem Wohl des Betroffenen zu entscheiden und dabei dem Schutz des Lebens Vorrang einzuräumen.“

Für die Rechtspraxis wirft der neue Beschluss des BGH Fragen auf: Wenn schon die Formulierung „Eintritt eines schweren Dauerschadens“ zur Umschreibung der Behandlungssituation, in der lebensverlängernde Maßnahmen nicht mehr vorgenommen werden sollen, nicht ausreicht, wann ist dann die vom Gericht geforderte Präzision erreicht?

Der BGH hat die medizinischen Feststellungen des Sachverständigen, der die in der Patientenverfügung für den Behandlungsabbruch definierten Voraussetzungen bejahte, als rechtlich irrelevant abgetan.

Verlangt das Gericht eine Konkretisierung durch Bezugnahme auf das Maß der durch den Gehirnschaden bewirkten Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit? Wäre eine Quantifizierung anhand medizinischer Begriffe wie schwere oder schwerste Intelligenzminderung ausreichend? Oder sind andere Aspekte entscheidend („Aufrechterhaltung einer wie auch immer gearteten Kommunikations- Empfindungsfähigkeit“) und wie wären diese ggf. juristisch zu beschreiben?

Ferner fragt es sich, ob das Gericht mit seiner Betonung des Primats des Lebensschutzes nur dann einen rechtlich beachtlichen Willen des Vollmachtgebers akzeptiert, wenn dieser den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen nur für den Fall schwerster Beeinträchtigung geistiger und seelischer Funktionen festlegt.

Praxistipp: Genaue Beschreibung des Mandantenwillens

Die vom BGH behandelte Klausel, dass lebensverlängernde Maßnahmen bei einer schweren Gehirnschädigung abzubrechen sind, ist durchaus üblich, so dass der jüngste Beschluss dieses Gerichts von erheblicher Praxisrelevanz ist. Vorsorglich sollte der in die Gestaltung von Patientenverfügungen eingeschaltete Rechtsberater den Mandanten befragen, was dieser mit einer solchen Formulierung genau meint, insbesondere für welche Situationen der Behandlungsabbruch wirklich gewünscht ist. Diese Situationen sollten unter Berücksichtigung der beabsichtigten Aspekte (Minderung oder Erlöschen bestimmter zentraler „intellektueller/ emotionaler/ kommunikativer Fähigkeiten“) beschrieben werden, wobei nicht zu verkennen ist, dass sich der Anwalt damit tendenziell zum medizinischen Experten aufschwingt. Diese Gefahr kann nur dadurch verringert werden, dass Juristen und Mediziner wieder in einen gemeinsamen Diskurs eintreten, um praktisch umsetzbare und ethisch vertretbaren Lösungen auszuarbeiten.

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